Bail-In Tracker: Können Banken sich in Zukunft selbst retten?

Immobilienkrise, Bankenkrise, Wirtschaftskrise: Was in den USA mit faulen Krediten und der Pleite der Bank Lehman Brothers begann, schwappte von dort nach Europa, brachte mehrere Banken und dann ganze Staaten in wirtschaftliche Schieflage. Denn sie sprangen zur Rettung der Banken ein — mit Billionen Euro und Dollar an Steuergeldern. Neue EU-Regeln sollen das künftig verhindern. Anstatt des bislang üblichen Bail-out, bei dem etwa Regierungen im Falle der Zahlungsunfähigkeit einer Bank zur Hilfe kommen, bauen die neuen Gesetze auf das Gegenmodell, den Bail-in: Hier werden die Kapitalanleger der Bank zu ihrer Rettung herangezogen. Der Bail-In Tracker prüft, wie effektiv diese neuen Gesetze sein können.

Fünf Billionen Euro hat die Europäische Union während der Finanzkrise zur Rettung der Banken bereitgestellt, allein deutsche Banken nahmen 259 Milliarden Euro in Anspruch. Damit sich so etwas nicht noch einmal wiederholt, sind seit Anfang 2013 und 2014 zwei neue EU-Gesetze in Kraft getreten: die Abwicklungsrichtlinie "Bank Recovery and Resolution Directive" (BRRD) und der einheitliche Bankenabwicklungsmechanismus "Single Resolution Mechanism" (SRM).

Gerät die Bank in Schieflage, sorgen diese Regeln dafür, dass auch das Geld der Anleger zur Bankenrettung herangezogen werden kann. Es gibt eine Rangfolge, in der im Insolvenzfall die Einlage der Anleger genutzt wird, um zu vermeiden, dass der Staat und damit der Steuerzahler die Rettung übernehmen muss.

"Früher hat man die Fremdkapitalgeber zur Rettung einer maroden Bank ausgespart. Die haben - zurecht - darauf spekuliert, dass der Staat die Banken im Insolvenzfall rettet. Diesen Mechanismus hebelt man jetzt aus. Der Gesetzgeber argumentiert, dass Investoren, die versiert genug sind, um zu verstehen, wie es den Banken geht, auch bei der Rekapitalisierung helfen müssen", sagt Wirtschaftswissenschaftler Martin Götz von der Universität Frankfurt.

Bevor eine Bank eine Anleihe emittiert, wird diese als "vorrangig" oder "nachrangig" klassifiziert. Diese Klassifizierung entscheidet im Insolvenzfall darüber, wer zuerst sein an die Bank verliehenes Geld zurückbekommt. "Investoren nachrangiger Anleihen erhalten im Insolvenzfall eines Unternehmens erst dann eine Zahlung, wenn die Zahlungsansprüche der Investoren vorrangiger Anleihen erfüllt worden sind. Die Auszahlung dieser (nachrangigen) Anleihen ist also weiter hinten in der Rangfolge. Im Insolvenzfall kann es sein, dass nicht genügend Mittel vorhanden sind, um die Forderungen der nachrangigen Anleihen-Investoren zu bedienen. Dann erleiden diese Investoren einen Verlust. Das Risiko einen Verlust zu erleiden, ist für Investoren nachrangiger Anleihen also größer", erklärt Götz.

Aber wieviel bail-in-fähiges Kapital haben Banken überhaupt? Und wenn es diese Regelung schon eher gegeben hätte, wieviel Steuergelder hätten Staaten dann einsparen können? Gemeinsam mit Stephan Lorz von der Börsen-Zeitung, entwickelte Götz mit seinem Team den Bail-In Tracker, der genau das diese Fragen beantworten will. Bislang hat das noch niemand untersucht — dabei ist die Datengrundlage da.

Welche Bank hat wieviel Kapital, das im Schuldenfall genutzt werden kann?

"Wir haben verschiedene Datenbanken angezapft und verglichen: die von SNL Financial und Thomson Reuters. Wir haben festgestellt, dass die Datenqualität bei SNL etwas umfangreicher war als bei Reuters. Die Daten haben bereits eine Grundsatzklassifizierung, ob eine Anleihe nachrangig ist oder nicht. Wir haben das zunächst punktuell kontrolliert und festgestellt, dass das sehr zuverlässig funktioniert und vertrauen jetzt darauf", sagt Götz.

Rückwirkend für vier Jahre hat Götz' Team die Daten zu öffentlichen Anleihen - wann sie emittiert wurden, wann sie ausgelaufen sind oder auslaufen werden - für die einzelnen Banken an bestimmten Tagen ermittelt und so für jede Woche das Volumen der nachrangigen ausstehenden Anleihen berechnet, um so einen Einblick in das verfügbare bail-in-fähiges Kapital zu schaffen. 

"Anleihen von Tochterunternehmen haben wir der entsprechend übergeordneten Bank zugewiesen. Bei international aufgestellten Banken haben wir die Anleihen in verschiedenen Währungen mit den Wechselkursen des Anbieters Datastream auf Euro normiert", sagt Götz.

Am Ende entsteht ein Liniendiagramm, bei der jeder Bank eine Linie zugeordnet ist und deren Höhe dem Volumen an nachrangigen Anlagen entspricht.

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Zusätzliches Währungsrisiko

"Wir haben zuerst einmal herausgefunden, dass es viel weniger Anleihen gibt, die überhaupt bail-in-fähig sind, als man bisher geglaubt hat. Insofern ist die neue Regel wohl nicht so erfolgreich und wirksam wie erwartet. Die Implementierung des Gesetzes geht auch viel zäher voran als gedacht und von der Politik versprochen", fasst Lorz die Erkenntnisse zusammen.

Was sich aber zeigt ist, dass es regionale Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern gibt: "Banken in Deutschland haben eher einen geringeren Anteil an nachrangigen Anlagen, während Banken in Großbritannien stärker mit nachrangigen Anleihen finanziert sind. Wenn es zu einem Bail-in käme, stünde zunächst einmal mehr Masse bei Banken in Großbritannien zur Verfügung als in Deutschland", so Götz.

"Weil die Daten nicht so weit zurückgehen, wie gewünscht, konnten wir leider nicht überprüfen, wie viel Geld Staaten hätten sparen können, wenn es die Regelungen eher gegeben hätte", sagt Götz. Die Veränderungen, die der Bail-In Tracker über etwa vier Jahre zeigt, sind eher genereller: Bei spanischen Banken gab es einen kleineren Anstieg Bail-in- fähigen Kapitals, bei deutschen Banken stagnierte der Anteil.

"Interessant war auch unsere Erkenntnis, dass etwa ein Fünftel dieser Anleihen nicht in Euro emittiert werden", sagt Götz. Der größte Anteil von Anleihen in ausländischer Währung wird in US-Dollar emittiert, was das Risiko, mit denen diese Papiere behaftet sind, zusätzlich erhöhe: "Diese nachrangigen Anleihen können an Wert verlieren, weil sich der Wechselkurs ändern kann."

Ausnahme-Regelung ermöglicht Grauzone

Natürlich gibt es auch Anleger, normale Bürger, die auf die Sicherheit der Bank vertrauen und nicht über die nötige Fachkenntnis verfügen, um abschätzen zu können, wie stabil die Banken sind.

Um sie zu schützen, ermöglichen BRRD und SRM den Banken Ausnahmen zu machen. Bei Vertragsabschluss kann so festgelegt werden, dass eine Anleihe nicht für einen Bail-in herangezogen wird. Wem genau eine Bank solche Ausschluss-Klauseln anbieten darf, ist nicht festgelegt.

Götz und sein Team haben deswegen auch untersucht, ob die Banken den Anteil an nachrangigen Anleihen mit Inkrafttreten der neuen Regeln eher noch verringern.

Da die Regel noch nicht so lange gilt, ist der betrachtete Zeitraum noch zu kurz, um mehr als anekdotische Evidenz zu finden: "Wir mussten feststellen, dass wir bislang wissenschaftlich nicht nachweisen können, dass Banken, etwa durch die Anpassung ihrer Bilanzstruktur, auf die neuen Regeln reagiert haben. In einzelnen Gesprächen mit Praktikern wurde das aber angedeutet", sagt Götz.

Umgekehrt ist es Banken aber auch gestattet, nachrangige Anleihen an Privatpersonen zu verkaufen, die vielleicht die Konsequenzen gar nicht überblicken können.

"Eigentlich wäre es nicht schwierig dieses Kapital zur Bankenrettung heranzuziehen. Aber politisch ist es schwierig durchzusetzen, wenn ich als Politiker weiß, dass alle meine Wähler unzufrieden sein werden, wenn sie ihre Investitionen verlieren — da ist die Option einer staatlichen Bankenrettung aus der Politiker-Perspektive besser."

In der Konsequenz wehren sich Staaten wie etwa Portugal dagegen, Banken oder ihre Anleger im Insolvenzfall zur Haftung heranzuziehen, aus Sorge über politische Unruhen.

Genau das passierte kürzlich in Italien: Die Bank Monte dei Paschi in Siena hatte vielen Anlegern nachrangige Anleihen verkauft — ohne zu unterscheiden, ob es sich um Normalsparer handelt oder um Gläubiger, welche die Tragweite durchaus erahnen. Die Bank geriet in Schieflage — und basierend auf den neuen Regelungen müsste auch das Geld von 40 000 Privatanlegern zur Bankenrettung herangezogen werden. Aber Italiens Regierung versucht nun die geltenden Bail-in-Regel zu umgehen und als Staat die Bank zu retten. Kostenpunkt: 20 Milliarden Euro. Am Ende sind es wieder die Steuerzahler, die bezahlen — nur eben über einen anderen Weg.

Schneeball-Effekt statt Stabilität

"Natürlich gibt es auch Kritik an Regeln wie BRRD und SRM. Experten wie Peter Bofinger vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (‚Wirtschaftsweisen‘) warnen, dass solche Vorgaben die Finanzstabilität sogar insgesamt gefährden, wenn die Banken sich nicht mehr auf staatliche Rettung verlassen können. Denn dies gibt dem System den nötigen Vertrauensvorschuss", sagt Lorz.

Und wenn bei einer Bank der Schuldenfall eintritt und eine andere Bank als Fremdkapitalgeber zur Rettung herangezogen würde, dann kann sich das Problem auf weitere Banken ausweiten, bis aus einem Schneeball eine Lawine wird. "Es gibt zwar Regeln, die dagegen schützen sollen, etwa indem eine Bank stets ausreichend Eigenkapital vorweisen muss", sagt Götz. "Aber da es so einen komplexen Rettungsfall noch nicht gegeben hat, seit die neuen  Regelungen in Kraft sind, kann man auch nicht abschätzen, wie sich ein solches Szenario tatsächlich entwickeln würde."

Welche Bank wie viel in eine andere Bank investiert hat, das wisse man nicht genau, sagt Götz: "In einem zukünftigen Forschungsprojekt wollen wir versuchen zu ermitteln, wie Banken über ihre jeweiligen Emissionen vernetzt sind."

Abgesehen von inhaltlichen Anknüpfungspunkten für seine weitere Arbeit, nimmt Götz auch auf einer Meta-Ebene Lernerfahrungen aus dem Projekt mit: "Das war ein Experiment auch auf unserer Seite, aber ein sehr förderliches. Journalisten und Wissenschaftler zusammenzubringen — man spricht nicht immer dieselbe Sprache. Und in dieser Projektkooperation mit Stephan Lorz habe ich dann auch gelernt, Herausforderungen und Erwartungen zu managen, was ich als Wissenschaftler liefern kann", sagt Götz. "Mal schnell einen Blogeintrag zu schreiben oder mal kurz was zu analysieren, ist man als Wissenschaftler im Tagesgeschäft nicht gewöhnt. Wenn man einen akademischen Artikel schreibt, dann überarbeitet man den mehrmals mit ausreichend Zeit — aber einen Zeitungsartikel oder Blogbeitrag zu schreiben, das muss dann eben schnell gehen."

Für Lorz waren das erwartbare Schwierigkeiten. "Wissenschaftler folgen häufig anderen Gesetzmäßigkeiten und wollen gern so etwas wie ein Schlussprodukt haben, während wir Journalisten immer Zwischenprodukte wollen, um darüber zu berichten. Wir haben uns aber gut aufeinander eingespielt. Meine Aufgabe sah ich deshalb auch darin, immer ein bisschen Druck auszuüben, damit da regelmäßig was abspringt."

Generell sieht Lorz großes Potenzial für solche Projekte — sowohl für Medien als auch für die Wissenschaft: "Ich finde Datenjournalismus ist zwar eigentlich nichts Neues. Das hat die Finanzpresse immer schon gemacht, indem sie zum Beispiel Zeitreihen hergenommen und analysiert hat. Bei Big Data ist das Neue, dass man ungeheuer viele Daten nutzt mit Instrumenten, die es früher noch nicht gegeben hat. Und da kann ich mir durchaus vorstellen, dass es gerade ein Asset für die Börsen-Zeitung sein kann, hier eine gewisse Expertise zu entwickeln. Wenn wir Prozesse auflegen und Personal dafür abstellen würden, könnte das aktuelle Projekt auch eine Fortsetzung finden. Umgekehrt dürfte es für die Uni von Vorteil sein, wenn die Tätigkeiten, die Wissenschaftler häufig im Dunkeln vorm Bildschirm ausüben, stärker ins Licht der Öffentlichkeit rücken."

Gianna Grün

Projektinformationen Bail-In Tracker

Hauptantragsteller:

Martin Richard Götz, Universität Frankfurt am Main

Stephan Lorz, Börsen-Zeitung

Publikationen

"Should the marketing of subordinated debt be restricted/different in one way or the other? What to do in the case of mis-selling?" SAFE White Paper No. 35, 21. Mrz. 2016

"Der ultimative Test findet erst beim realen Bailin statt", Börsen-Zeitung, 28. Okt. 2016

"Verrat am Verantwortungsprinzip", Börsen-Zeitung, 28. Okt. 2016

"Homepage "Bail-In Tracker" online", Börsen-Zeitung, 26. Jul. 2016

"Vermarktung von Bail-in-Papieren überwachen", Börsen-Zeitung, 18. Jul. 2016

"Das Bail-In-Projekt", Börsen-Zeitung, 4. Mrz.2016

"The Bail-In Tracker: Does the new EU Regulation on Bank Recovery and Resolution Work? ", SAFE Newsletter, Q4/2016

"The Implementation of the Bail-In Tool Requires Crucial Amendments", SAFE Newsletter, Q2/2016