Aus dem Gestern ins Heute - frischer Blick auf alte Museumsbestände

Mit insgesamt rund einer Million Euro unterstützt die VolkswagenStiftung junge Museumswissenschaftler(innen), die alte Sammlungsbestände erforschen wollen.

Ob früharabische Papyrusdokumente, eine umfangreiche Sammlung von Kaulquappen oder der Klimawandel in längst vergangenen Zeiten: Das Spektrum an Themen ist breit, mit denen sich die Nachwuchsforscherinnen und -forscher ab sofort im Rahmen der Förderinitiative "Forschung in Museen" beschäftigen können. Zeugnisse einer vielschichtig kulturellen Gesellschaft vor unserer Zeit finden sich bei der Untersuchung von Papyri – etwa, wenn sie ein Bild zeichnen vom Zusammenleben von Christen und Muslimen im früharabischen Ägypten. Die Papyrussammlung der Universität Heidelberg umfasst nach der Papyrussammlung in Berlin den zweitgrößten Bestand solcher Objekte in Deutschland. Rund zehntausend, selbst der universitären Öffentlichkeit am Ort weitgehend unbekannte Objekte warten längst darauf, erforscht und präsentiert zu werden. Dieser Herausforderung stellt sich nun – gefördert mit rund 264.000 Euro – Dr. Lajos Gyorgy Berkes von der Universität Heidelberg. Er konzentriert sich auf einen wichtigen Teilbestand der Sammlung: Papyrusdokumente aus der früharabischen Zeit (7.- 8. Jh.). Diese Alltagszeugnisse berichten über die erste Phase der Transformation einer christlichen in eine muslimisch geprägte Gesellschaft. Der junge Wissenschaftler wird sich zunächst damit beschäftigen, die Papyri zu entziffern und zu übersetzen und dabei eine ausführliche historische und linguistische Kommentierung der Objekte vornehmen. Ebenso soll die Erwerbs- und Sammlungsgeschichte der antiken Archive nachgezeichnet werden. Die Ergebnisse fundieren eine Open-access-Datenbank und münden in einen Editionsband über Heidelberger Papyri sowie eine Ausstellung über das Zusammenleben von Christen und Muslimen in früharabischer Zeit.

Eine arabisch-griechische Steuervorschreibung aus dem frühen 8. Jh. (Copyright: Institut für Papyrologie, Universität Heidelberg)

Es gibt wohl nur wenige Künstler, die sowohl hinsichtlich ihres vielschichtigen Werks als auch ihrer Persönlichkeit so faszinieren wie Marcel Duchamp (1887-1968). Als Erfinder des Ready-made und Begründer der Konzeptkunst hat der Einfluss seiner Schriften und Werke bis heute nicht an Bedeutung verloren. Da überrascht es fast, dass wesentliche Bestände seiner Werke und Schriften bislang nicht erschlossen wurden. Jetzt wird sich – von der Stiftung mit rund 230.000 Euro unterstützt – Dr. Susanne M. I. Kaufmann von der Staatsgalerie Stuttgart dem unbearbeiteten Duchamp-Bestand in der Graphischen Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart annehmen: das sogenannte Marcel Duchamp-Kabinett. Die seit Mitte der 1970er Jahre kontinuierlich erweiterte Sammlung zählte mit im Kern zunächst etwa 300 Werken bereits zu einer der größten im deutschsprachigen Raum; ergänzt wurde sie dann noch einmal substanziell im Jahre 1993 um schätzungsweise 500 Dokumente durch den Erwerb des "Serge Stauffer-Archivs". Hier findet sich unter anderem die deutsche Übersetzung der "posthumen Notizen" Duchamps. Die Auseinandersetzung mit diesen Notizen ist spannungsreich, übertrug Duchamp doch einige dieser Anmerkungen in den Kunstkontext, während er andere zeitlebens bewusst zurückhielt. Eine differenzierte Betrachtung dieser künstlerischen Strategie verspricht nicht zuletzt eine neue Perspektive auf Duchamps Gesamtwerk. Auch hier sollen eine Ausstellung und eine begleitende Publikation das wissenschaftliche Vorhaben abrunden. Zudem sind attraktive Kooperationspartner mit im Boot: das Centre Georges Pompidou in Paris, das Philadelphia Museum of Art, das Serge Stauffer-Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern sowie das Duchamp-Forschungszentrum im Staatlichen Museum Schwerin.

An der Neuen Staatsgalerie Stuttgart widmet sich Dr. Susanne M. I. Kaufmann dem sogenannten Marcel Duchamp-Kabinett. (Foto: Staatsgalerie Stuttgart)

Amphibien, insbesondere Frösche und Kröten, sind die einzigen landlebenden Wirbeltiere mit einem freilebenden Larvenstadium. Die Morphologie von Kaulquappen weicht dabei stark von jener ausgewachsener Frösche ab; entsprechend durchlaufen die Froschlarven in ihrer Entwicklung zum erwachsenen Tier eine vollständige Umwandlung, genannt Metamorphose. Darüber hinaus zeichnen sie sich aus durch Besonderheiten in ihren morphologischen Eigenschaften und zeigen interessante Anpassungen an die Ökologie ihres Lebensraumes. Dennoch konzentrierte sich die Amphibienforschung bislang zumeist auf die ausgewachsenen Tiere – dabei liefern gerade Kaulquappen ganz allgemein und grundlegend wichtige Informationen für ein genaueres Verständnis der Evolution, Ökologie und Erhaltung von Arten. Da kommt es gelegen, dass gerade in Museen hierzulande teils umfangreiche Sammlungen von Kaulquappen aus allen denkbaren Regionen der Welt lagern. Es sind wahre Schätze, die da allenfalls ansatzweise erforscht im Verborgen schlummern. Aus diesem Zustand will sie nun Dr. Arne Schulze zumindest partiell erwecken. Vom Hessischen Landesmuseum Darmstadt aus wird er anhand zahlreicher Sammlungsbestände von Museen in Deutschland, Österreich und der Schweiz unter anderem der ganz grundlegenden Frage nachgehen, was die Ausbildung der Morphologie von Kaulquappen bedingt: sehen beispielsweise Kaulquappen ähnlich aus aufgrund von engen Verwandtschaftsverhältnissen oder aber aufgrund von ökologischen Faktoren. Ziel ist es, eine umfangreiche "Kaulquappendatenbank" zu erstellen, die ergänzt werden soll um Literaturdaten mit bestehenden Beschreibungen von Kaulquappen. Diese Online-Bestandsschau soll weltweit die Forschung auf diesem Gebiet beflügeln. Auch hier soll nach Abschluss eine Ausstellung nicht zuletzt die außeruniversitäre Öffentlichkeit für das Thema interessieren. 300.000 Euro hat die Stiftung für das Vorhaben bewilligt.

Kaulquappe eines südamerikanischen Baumfrosches (Osteocephalus taurinus) mit den charakteristischen morphologischen Merkmalen. (Foto: Hessisches Landesmuseum Darmstadt)

Auch in dem vierten, mit rund 200.000 Euro neu geförderten Vorhaben geht es um Amphibien und Reptilien. Da diese Tiere wegen ihrer "kaltblutigen" Physiologie zusätzliche Energie aus der Umgebung aufnehmen müssen, um zu überleben, hängen sie mehr vom Umgebungsklima ab als beispielsweise Vögel und Säuger. Entsprechend reagieren sie weitaus sensibler auf Klimaschwankungen. Dies hat unmittelbar Auswirkungen auf Artenvielfalt und Vorkommen, die Zusammensetzung der Populationen – bis hin zur Morphologie wie etwa die individuelle Körpergröße. Lässt ein Blick in die Vergangenheit erkennen, wie Amphibien und Reptilien auf Veränderungen des Klimas reagiert haben? Dieser Frage geht jetzt Dr. Alexander Hastings am Zentralmagazin Naturwissenschaftliche Sammlungen der Universität Halle-Wittenberg nach – und zwar anhand von Funden aus dem in Sachsen-Anhalt gelegenen Geiseltal. Die über zehntausend Fundstücke von dort, die fast allesamt in der Hochschule lagern, datieren etwa 45 Millionen Jahre zurück in den Zeitraum des "warmen Mittleren Eozäns". Sie sollen nun nach neuesten wissenschaftlichen Methoden beschrieben, möglichst exakt altersbestimmt, untersucht und katalogisiert werden und in eine Datenbank einfließen. Anschließend gilt es dann in einem weiteren Schritt herauszufinden, ob eine potenzielle Faunenveränderung mit sich wandelnden klimatischen Bedingungen zu einem bestimmten Zeitpunkt einhergeht. Mathematische  Modellierungen sollen begleitend zeigen, ob es – statistisch gesichert – belastbare Zusammenhänge gibt. Und auch dieses Vorhaben schließt mit einer Ausstellung: Die Schau zum Thema "Biodiversität des Mittleren Eozäns in einem sich wandelnden Klima" soll Teil der geplanten Dauerausstellung der Naturkundlichen Sammlungen am Hochschulstandort Halle (Saale) werden. Zudem sind gleich fünf Publikationen geplant. Gefördert werden die Postdoktorandinnen und -doktoranden im Rahmen der Initiative "Forschung in Museen". Zweites Standbein dieses Angebots ist die Förderung von gemeinsamen Projekten von Hochschulen und Museen mit dem Ziel, kleinere und mittlere Museen als Forschungsinstitutionen zu stärken. Der nächste Stichtag ist am 15. Juli 2015.

Dr. Alexander Hastings am Zentralmagazin Naturwissenschaftliche Sammlungen der Universität Halle-Wittenberg (Foto: Universität Halle-Wittenberg / Markus Scholz)