Aufregende Tage in Ouagadougou

Eigentlich sollte es eine ganz normale Summer School für Mathematiker aus 12 afrikanischen Staaten werden. Doch dann stellte ein Putsch in Burkina Fasos Hauptstadt die Teilnehmer vor unerwartete Herausforderungen.

Damit hatte Sylvie Paycha nicht rechnen können. Die Mathematik-Professorin an der Universität Potsdam war Mitte September 2015 nach Ouagadougou gereist, in die Hauptstadt von Burkina Faso im Westen Afrikas, um eine Summer School abzuhalten; das Thema: "Fourier Integrals and Applications". Ein Angebot, für das sich Dutzende Interessenten aus 12 afrikanischen Ländern angemeldet hatten. Kein Wunder, dass man seitens der Universität von Ouagadougou stolz war, diese von der VolkswagenStiftung geförderte Tagung mitorganisiert zu haben. Doch dann platzte eine Hiobsbotschaft in den Seminarraum, wo die Tagungsteilnehmer(innen) auf ein vielfältiges und anspruchsvolles Vortragsprogramm eingestimmt waren, das insgesamt zehn Tage dauern sollte: Ein General hatte gegen den amtierenden zivilen Präsidenten Michel Kafando geputscht. Dieser hatte sein Amt erst im Vorjahr angetreten – und einen Vorgänger abgelöst, der sich 27 Jahre an die Macht gekrallt hatte. Der Putsch-General zählte zu dessen früheren Vertrauten.

Leergefegte Straßen beim Putsch in Ouagadougou (Foto: Sylvie Paycha)

Eine Ausgangssperre wurde verhängt, der Flughafen geschlossen – und für Sylivie Paycha stellte sich die Frage: Was nun? Nach sorgfältiger Abwägung entschieden sich die meisten Teilnehmer für das Naheliegende: weitermachen, so gut es die Umstände erlauben. In einem sicher erscheinenden Hotel wurde ein neuer Raum bezogen, ein kleines Whiteboard und Marker-Stifte wurden aufgetrieben – und schon reihte sich wieder ein Vortrag an den anderen, insgesamt 40 binnen zehn Tagen. Außerhalb des Hotels blieb die Lage lange undurchsichtig. Präsidenten und Diplomaten aus anderen afrikanischen Staaten reisten an, um zwischen dem Putschisten General Gilbert Diendéré und der abgesetzten Regierung zu vermitteln.

Improvisierte Tafel (Foto: Sylvie Paycha)

Allmählich wurden auch im Hotel die Lebensmittel knapp. Ab und zu ließen Gewehrsalven die Summer School-Gäste für einen Moment ängstlich verstummen – bis der gerade Vortragende wieder die Stimme erhob und fortfuhr. Ein Hotelangestellter machte sich auf eine gefährliche Mission durch die Stadt, um für die Gäste neue White Board-Marker aufzutreiben, nachdem die vorgefundenen aufgebracht waren. Rückblickend ist Sylvie Paycha überzeugt: "Dass wir uns so intensiv mit mathematischen Problemen befasst haben, half vielen dabei, die bedrückende Situation für ein paar Stunden zu vergessen. Darin waren wir uns hinterher alle einig." Eine Woche nach dem Putsch dann die politische Einigung: General Diendéré wird Straffreiheit versprochen und Präsident Kafando wieder in sein Amt eingesetzt. Ein Happy End? Nicht unbedingt. Aus Sicht von Sylvie Paycha ist es keineswegs ausgeschlossen, dass es auch in Zukunft Putschversuche gegen die gewählte Regierung Kafando geben wird. Fast 30 Jahre Diktatur haben die politische Nomenklatura und das Zusammenleben der verschiedenen Gesellschaftsgruppen in Burkina Faso tief geprägt. Längst sind nicht alle Konflikte beigelegt. Ein Happy End aber gab es zumindest für die School, die Sylvie Paycha zusammen mit der Universität von Ouagadougou organisiert hatte: Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind unbeschadet in ihre Heimatorte zurückgekehrt. Darüber ist natürlich auch die VolkswagenStiftung als Förderin der Tagung tief erleichtert. Dabei hatte sie ihre Unterstützung extra davon abhängig gemacht, dass der Präsident der Universität für die Sicherheit der Tagung garantiert. Diese Bestätigung hat sie dann auch erhalten. Wie schnell sich die Lage unvorhersehbar ändern kann, zumal in politisch instabilen Regionen, haben die jungen Mathematikerinnen und Mathematiker erfahren. Doch ihre Rückmeldungen an Sylvie Paycha lassen keinen Zweifel zu: Auch der reichhaltige Gewinn an mathematischer Erkenntnis hat die aufregenden Tage in Ouagadougou für alle zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht. Jens Rehländer Sylvie Paychas englischsprachigen Originalbericht über die Summerschool und die Putschtage in Burkina Faso finden Sie im Newsletter der European Mathematical Society ("Recollection of a Singular School", S.45-47) zum Download unter http://www.ems-ph.org/journals/newsletter/pdf/2015-12-98.pdf.

Geschlossener Markt während der Ausgangssperre (Foto: Sylvie Paycha)