13 außergewöhnliche junge Forscher(innen) erhalten Freigeist-Fellowship
Unsere Top-News des Jahres 2016: Von Geheimdiensten und dem Kalten Krieg über Biodiversität bis hin zu elektronischen Implantaten und Weltgesundheit – die neu bewilligten Forschungsprojekte der Freigeist-Fellows bewegen sich zwischen den etablierten Forschungsfeldern.
Rund 180 Anträge waren bis zum Stichtag am 15. Oktober 2015 eingegangen, 13 davon wurden nun positiv beschieden. Mit einer Gesamtbewilligungssumme von über 10 Mio. Euro unterstützt die VolkswagenStiftung durch den Beschluss ihres Kuratoriums junge und außergewöhnliche Wissenschaftler(innen), die mit einem Freigeist-Fellowship ihren Forschungsschwerpunkt an einem deutschen Institut verankern wollen. Die erfolgreichen Antragsteller(innen) kommen dabei sowohl von deutschen Institutionen als auch aus renommierten Forschungseinrichtungen im Ausland wie der Harvard University, der École Polytechnique Fédérale de Lausanne oder auch der University of California Berkeley und San Diego. Ihre Projekte sind sowohl in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, als auch in den Natur- und Technikwissenschaften sowie der Medizin verankert.
Die Freigeist-Fellowships der VolkswagenStiftung richten sich als Personenförderung gezielt an Wissenschaftler(innen), die sich in den ersten fünf Jahren nach ihrer Promotion Themen widmen, mit denen sie neue Horizonte erschließen wollen und kritisches Analysevermögen mit außergewöhnlichen Perspektiven und Lösungsansätzen verbinden. Die jungen Forscherpersönlichkeiten werden darin ermuntert, neue Wege zu gehen und auch Widerstände aus den etablierten Forschungsgebieten oder -ansätzen zu überwinden. Mit einer Förderung über fünf Jahre, ergänzt durch Zusatzmittel und mögliche Anschlussförderung, können sich die Wissenschaftler(innen) ein eigenes Forschungsprofil aufbauen. Weitere Informationen zu dieser Förderinitiative unter Freigeist-Fellowships der VolkswagenStiftung.
Im Folgenden werden exemplarisch fünf ausgewählte Forschungsprojekte vorgestellt, die in Berlin, Dresden und Leipzig angesiedelt sein werden:
Dr. Sophia Hoffmann (Zentrum Moderner Orient, Berlin): Learning Intelligence: The Exchange of Secret Service Knowledge between Germany and the Arab Middle East 1960-2010 (rd. 580.000 Euro)
Was macht staatliche Geheimdienste so wichtig? Funktionieren sie auf der ganzen Welt auf ähnliche Weise? Und wie intensiv stellt sich die internationale Zusammenarbeit dar? Diese und weitere Fragen will die Forscherin in ihrem Projekt beantworten. Sie untersucht dazu die Strukturen der beiden deutschen Geheimdienste (BRD und DDR) sowie die der arabischen Geheimdienste in der Zeit zwischen 1960 und 2010 und prüft etwaige Verflechtungen bei der Zusammenarbeit der inländischen und ausländischen Dienste. Durch empirische Analysen von Archivmaterial, Literatur, sowie mithilfe von Zeitzeugen-Interviews mit ehemaligen Diplomaten, Exil-Politikern und auch Opfern geheimdienstlicher Verhöre und Verhaftungen will sie Erkenntnisse über den Einfluss des Austauschs auf den Aufbau, die Organisation, Verhaltensweisen und Politik deutscher und arabischer Dienste erlangen.
Dr. Carsten Meyer (Universität Leipzig): Modelling the Socioeconomic Forces behind 21st Century Biodiversity Loss: A Macroscopic Approach to turn Complexity into Opportunities for Action (rd. 810.000 Euro)
Die Vielfalt an Pflanzen und Tieren in den Ökosystemen auf der ganzen Welt nimmt dramatisch ab: Je mehr Flächen für Landwirtschaft genutzt werden und je stärker der Mensch in die Natur eingreift, desto instabiler werden die Ökosysteme und die Biodiversität nimmt ab – was langfristig die Lebensgrundlage der Menschen gefährdet. Bislang existieren vor allem kleinräumige Studien über diese Zusammenhänge. Sie nehmen zumeist die lokalen Einflussfaktoren in den Blick und bilden somit eine Grundlage für Naturschutzstrategien, die sich vor allem an direkten Einflussfaktoren orientieren. In seinem Projekt will der Forscher nun den Blick weiten und die diversen interagierenden natürlichen und menschlichen Faktoren betrachten, die die hochkomplexen globalen sozial-ökologischen Systeme beeinflussen. Er will die Verbindungen zwischen Biodiversitätsverlust und demographischen, volkswirtschaftlichen und vielen anderen Faktoren mithilfe von statistischen Modellen aufzeigen. Auch Konflikte mit anderen Zielen sollen sichtbar werden. Alldem zugrunde legen wird er große Datenmengen ("Big Data") für valide empirische Befunde.
Dr. Ivan Minev (Technische Universität Dresden): Electronic Tissue Technology for Spinal Cord Repair (rd. 920.000 Euro)
Werden menschliche Organe oder das zentrale Nervensystem durch einen Unfall oder eine Erkrankung verletzt, kann dies weitreichende und langwierige Folgen für die Patienten haben. Im Rahmen seines Projekts will der Forscher neuartige Technologien entwickeln und erproben, die der Reparatur des beschädigten Gewebes dienen sollen: Es handelt sich dabei um elektronische Implantate, die in ihrer Struktur den menschlichen Geweben ähneln, und direkt an der beschädigten Stelle im Körper eingesetzt werden. Dort sollen sie unter anderem Medikamente dosiert abgeben, Ersatz-Zellen bereitstellen oder elektrische Impulse erzeugen, die die körpereigenen Reparaturzellen zur verletzten Stelle führen. Dafür ist auch die Auswahl passender Materialien für gute Verträglichkeit und hohe Funktionalität notwendig, was eine wichtige Rolle im Projekt spielen wird.
Dr. Timothy Nunan (Freie Universität Berlin): The Cold War's Clash of Civilizations: The Soviet Union, the Left, and the International Origins of Islamism (rd. 660.000 Euro)
Der Kalte Krieg war ein globaler Konflikt, der nicht nur Europa, sondern z. B. auch die Politik im Mittleren Osten geprägt hat. Dort führte er zur Konfrontation zwischen Sozialismus und politischem Islam. Seit den 1960er Jahren stritten etwa Sunniten und Schiiten darüber, wie sie die säkularen, sozialistischen und häufig pro-sowjetischen Regierungen in ihren Heimatländern überwinden könnten. Die Anführer dieser Bewegungen waren in religiösen Fragen zerstritten, aber einig in ihrer Ablehnung des Sozialismus. In den folgenden Jahren erstarkte der islamische Internationalismus, angeführt von Geistlichen und Islamischer Weltliga. Und politische Erfolge stellten sich ein: 1979 übernahmen Schiiten die Macht im Iran. 1989 trugen islamische Kämpfer zur Niederlage der Sowjets in Afghanistan bei. Mit Blick auf existierende Forschung zur Geschichte des Kalten Krieges geht das Projekt über die Bipolarität zwischen kapitalistischem Westen und sozialistischem Osten hinaus und möchte klären, wie der amerikanisch-sowjetische Antagonismus neue Handlungsräume für islamische Akteure im Mittleren Osten schuf. Und welche Folgen bis heute in der globalen Politik spürbar sind. Bis 2021 soll ein Buchmanuskript entstehen.
Dr. Tine Hanrieder (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung): Medical Internationalisms and the Making of Global Public Health (rd. 610.000 Euro)
Krankheiten kennen keine Landesgrenzen. Und mit der Globalisierung der Krankheiten verteilten sich Medikamente über die ganze Welt – und schließlich folgten auch Ärzte und weitere Verantwortliche im Gesundheitswesen den Einsätzen im Kampf gegen Krankheiten. Ein sogenanntes "Weltgesundheitsdorf" entsteht: Die Weltgesundheitspolitik, auch Global Health genannt, bestimmt die politische Agenda mehr denn je; Experten, Ressourcen und Wissensbestände werden transnational zunehmend ausgetauscht. Allerdings spielen dabei nicht nur medizinische Aspekte eine Rolle. Die Biomedizin mit Fokus auf einzelne Krankheiten und deren "Hightech"-Behandlung steht der Sozialmedizin mit Fokus auf Bevölkerungsgruppen und Vorsorge gegenüber. Im Rahmen des Projekts will die Forscherin untersuchen, welche Stakeholder(-gruppen) Gesundheitspolitik, -wesen und -forschung heute bestimmen. Zudem geht sie der Frage nach, ob medizinische Entwicklungshilfe im Ausland auch die Suche nach der richtigen Medizin in entwickelten Ländern beeinflusst.