Konstruktionen des Fremden und des Eigenen: Prozesse interkultureller Abgrenzung, Vermittlung und Identitätsbildung (beendet)
Ziel der Initiative
Mit diesem Schwerpunkt widmet sich die Stiftung weiterhin einem Problembereich, zu dem sie in den letzten Jahren in dem Vorgängerschwerpunkt "Das Fremde und das Eigene - Probleme und Möglichkeiten interkulturellen Verstehens" bereits zahlreiche wichtige Untersuchungen gefördert hat. Der Themenkomplex "Interkulturalität" ist nach wie vor von hoher Aktualität, ja von zunehmender wissenschaftlicher wie auch politisch-gesellschaftlicher Bedeutung. Insbesondere gilt es zu untersuchen, welchen Einfluss der unter dem Schlagwort "Globalisierung" diskutierte Strukturwandel auf Identitätsbildungen im interkulturellen Kontext hat. Im Mittelpunkt des Interesses wird die Untersuchung der Dynamik und des Konstruktionscharakters solcher Prozesse stehen. Gefördert werden ausschließlich Vorhaben, die interdisziplinär oder international/interkulturell angelegt sind.
Die VolkswagenStiftung veranstaltete vom 24. bis 26. April 2002 in Freiburg das erste wissenschaftliche Symposium zu den im Rahmen des Schwerpunkts "Konstruktionen des 'Fremden' und des 'Eigenen': Prozesse interkultureller Abgrenzung, Vermittlung und Identitätsbildung" geförderten Vorhaben.
Anfang der neunziger Jahre hatte die VolkswagenStiftung den Schwerpunkt "Das Fremde und das Eigene – Probleme und Möglichkeiten interkulturellen Verstehens" eingerichtet. Seine Entstehung war geprägt von einer sich zuspitzenden gegenläufigen Entwicklung: auf der einen Seite die zunehmende Internationalisierung der Lebenswelt, in der wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Beziehungen über Länder- und Kontinentgrenzen hinweg mehr und mehr zur alltäglichen Normalität wurden, auf der anderen Seite die wachsende Abschottung und Unduldsamkeit gegenüber kulturell Andersartigem bis hin zum offenen Hass auf "Fremde" und "Fremdes"; auf der einen Seite der Trend zur weltweiten Angleichung und Vernetzung, auf der anderen Seite ein immer spürbarer werdender Mangel an "interkultureller Kompetenz". Die sich daraus im politischen, gesellschaftlichen und kulturellen (Zusammen-)Leben ergebenden Probleme sind seither eher noch dringlicher geworden. So sieht sich auch die Wissenschaft verstärkt gefordert, mit den ihr eigenen Möglichkeiten bessere Voraussetzungen für Verstehen und Handeln im interkulturellen Kontext zu schaffen.
Bisher lagen die inhaltlichen Akzente der Förderung durch die Stiftung insbesondere auf Fragen (inter-)kultureller Interaktion und Kompetenz und auf den innerdeutschen Problemfeldern des Verhältnisses zu Migrant:innen (Schule, Stadtteil, Polizei, Justiz). Die sich jedoch sowohl innerwissenschaftlich als auch auf der politisch-gesellschaftlichen Ebene abzeichnenden Veränderungen stellen auch die Forschung vor neue Aufgaben. Dies gilt vor allem mit Blick auf den unter dem Schlagwort "Globalisierung" diskutierten Strukturwandel und die damit einhergehenden transnationalen Verflechtungen, die in ihrer Veränderungsdynamik zu immer neuen Formen der Konstruktion, Überlagerung und Vermischung von "Fremdem" und "Eigenem" führen. So stellt sich z. B. die Frage, welche Möglichkeiten von Identitäts- oder Zugehörigkeitsbestimmungen sich im Rahmen der Globalisierungstendenzen jenseits territorialkultureller Gebundenheit herausbilden und welche Relevanz Ethnien im Zusammenhang der Globalisierung zugeschrieben wird. Auch gilt es, Fragen der Transnationalität und der Transkulturalität zu beantworten.
Um der veränderten Problemlage Rechnung zu tragen, hat die VolkswagenStiftung ihr Förderangebot neu konzipiert. Sie will die Forschung darin unterstützen, Aufschluss über die oben skizzierten Prozesse zu gewinnen und damit auch zur Eröffnung neuer Perspektiven für politisch-gesellschaftliches Handeln beitragen.
Thematischer Rahmen
Begegnungen zwischen den Kulturen wie kulturelle Ab- und Ausgrenzung sind keine Errungenschaft und auch nicht ausschließlich ein Problem des späten 20. Jahrhunderts. Neu erscheinen hingegen Ausmaß, Dynamik und Brisanz solcher Prozesse und damit auch das außerordentlich starke öffentliche Interesse, das man ihnen entgegenbringt. Inzwischen besteht weitgehend Einvernehmen darüber, dass es sich hier um höchst vielschichtige und – gerade im Zusammenspiel mit politisch-gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen – wesentlich komplexere Vorgänge handelt, als es Beschreibungsbegriffe wie etwa "Begegnung" suggerieren.
Gewachsen ist dementsprechend auch die Überzeugung, dass die Schlüsselkategorien selbst, mit denen auf diesem Feld üblicherweise gearbeitet wird, der Reflexion nicht weniger bedürfen als die Phänomene, die man mit ihrer Hilfe zu erschließen sucht. Denn mit Leitbegriffen wie "Kultur", "Identität", "Interkulturalität", "fremd" und "eigen" – um nur diese zu nennen – sind offenkundig keineswegs ‚feste Größen‘ erfasst. Was sie bezeichnen, erscheint in der Sicht neuerer Forschung vielmehr weitgehend 'konstruiert', d. h. als prinzipiell variables Resultat eben solcher fortwährender Abgrenzungs-, Vermittlungs-, Vermischungs- oder auch Überlagerungsprozesse.
Diese Prozesse und ihre Veränderungsdynamik zu untersuchen, ihre Voraussetzungen, Rahmenbedingungen, Strukturen und Wirkungen theoretisch, empirisch und mit der nötigen historischen Tiefenschärfe zu analysieren und problemorientiert aufzuklären – dies ist das inhaltliche Anliegen des neu konzipierten Schwerpunkts. Priorität haben demgemäß Vorhaben, die diese Zielsetzung und Fokussierung aufgreifen.
Beispielhaft seien als Themenfelder genannt: Transformationen kultureller Identitätsbildung und ihre Entwicklungsdynamik; kulturelle (Selbst-)Verständigungsprozesse im Spannungsfeld neuer transnationaler Strukturen; Veränderungen des Umgangs mit kulturellen Prägungen im gesellschaftlichen Alltag; Gestaltungsoptionen der Immigrationspolitik: zwischen kultureller Integration und transkultureller Öffnung; nationale Identität und ethnische Differenz – (doppelte) Staatsbürgerschaft und kulturelles Selbstverständnis; Neue Medien und die ‚Inszenierung‘ kultureller Identität; Wissen und Wissenstransfer in interkultureller Perspektive; historisch-systematische Analysen zu leitenden Begriffen (u. a. Kulturbegriff) und Schlüsselkategorien.
Projektanforderungen
Forschungsvorhaben können im Rahmen des Schwerpunkts dann gefördert werden, wenn sie – gemäß der oben dargestellten Zielsetzung – weiterführende Erkenntnisse über signifikante Prozesse interkultureller Abgrenzung, Vermittlung und Identitätsbildung erwarten lassen. Erwünscht sind dabei Projekte mit praktischen Bezügen und Perspektiven sowie Vorhaben, die den Genderaspekt berücksichtigen.
Die den geplanten Forschungen jeweils zugrunde liegenden Leitbegriffe und -kategorien sollen in ihrer kulturellen Prägung im Projektantrag dargelegt und im Blick auf Tragfähigkeit und Reichweite reflektiert werden. Erwartet wird neben der Aufnahme und Verarbeitung des nationalen und internationalen Forschungsstandes auch eine explizite Auseinandersetzung mit der eigenen Methodik sowie deren Möglichkeiten zur Analyse "fremder" Kulturen.
Besonderen Wert legt die Stiftung auf eine substanzielle und im Antrag ausführlich zu erläuternde internationale/interkulturelle und – soweit von der Sache her gefordert – interdisziplinäre Kooperation, die auch über den vorzulegenden Arbeitsplan nachvollziehbar sein sollte.
Insbesondere bei historisch ausgerichteten Projekten ist die Beteiligung von Experten für die angesprochene(n) Region(en) erforderlich, bei Vorhaben, die in erster Linie auf die historisch-systematische Aufarbeitung von Leitbegriffen und Schlüsselkategorien zielen, eine interkulturelle Kooperation.
Der Stiftung liegt daran, dass die Projektergebnisse im Rahmen eines interdisziplinären Symposions mit in- und ausländischen Vertreter:innen aus Wissenschaft und Praxis diskutiert werden. Besonders erwünscht ist auch die Präsentation und Vermittlung der Ergebnisse in der akademischen Lehre und in der interessierten Öffentlichkeit. Dazu sollte der betreffende Antrag bereits Vorschläge enthalten.
Vorhaben ohne interdisziplinären oder internationalen/interkulturellen Zuschnitt können nicht gefördert werden.
Fördermöglichkeiten
Die Stiftung kann Fördermittel nur an wissenschaftliche Einrichtungen vergeben. Bei Antragstellern außerhalb des unmittelbaren Hochschulbereichs und der allgemein bekannten außeruniversitären Forschungsinstitutionen sind daher auch Angaben zu Rechtsform, Satzung, Besetzung der Organe und Gremien, Gemeinnützigkeit, Etatgestaltung und Haushaltsprüfung der zu fördernden Einrichtung notwendig. Soweit ein Tätigkeitsbericht der antragstellenden Einrichtung vorliegt, sollte auch dieser übersandt werden.
Gefördert werden können:
Forschungsprojekte (durch Vergabe von Personalmitteln, Stipendien und Sachmitteln einschließlich Reisekostenzuschüssen – sowohl für inländische wie für ausländische Projektpartner). Die sechs- bis 24-monatige Freistellung von Professor:innen kann gefördert werden, wenn sie sich mit einem eigenen substanziellen Forschungsbeitrag am Projekt beteiligen. Stipendien können nur vergeben werden, wenn sie in umfassendere Vorhaben als Teil des Projekts eingebunden sind.
Wissenschaftliche Veranstaltungen mit begrenztem, interdisziplinär und international besetztem Teilnehmerkreis, auch im Ausland (im Übrigen gelten hier die Richtlinien des Programms "Symposien und Sommerschulen").
Aufenthalte von Lehrenden asiatischer, lateinamerikanischer und afrikanischer Herkunft für ein Semester an deutschen Universitäten mit dem Ziel der Vermittlung indigener, "nicht-westlicher" Wissenschaftskonzepte. Antragsteller können deutsche wissenschaftliche Einrichtungen sein, an denen die Veranstaltungen durchgeführt werden sollen. Neben den Fahrtkosten können für den Aufenthalt für den ersten Monat bis zu 1.750 Euro, für jeden weiteren Monat bis zu 1.500 Euro pauschal veranschlagt werden.