"Auf den Weg zur Slow Fashion" haben wir uns mit unseren Gästen beim Herrenhausen Xchange am 6. Juni begeben. Unter dem Motto "#IdeenFuerMorgen" sprachen Publikum und Expert:innen darüber, wie die Textilindustrie nachhaltiger gestaltet werden könnte.
Wie hat sich Fast Fashion entwickelt?
Zu Beginn der 2000er Jahre nahm der Fast-Fashion-Boom an Fahrt auf, da große Marken anfingen, die billige Chemiefaser Polyester für ihre Kleidung zu verwenden. Burcu Gözet aus der Abteilung Stoffkreisläufe vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie nannte weitere Gründe, warum Kleidung so günstig wurde: ausgelagerte Produktion in Länder mit niedrigem Lohnniveau und längeren Arbeitszeiten, weniger Regularien für das Färben und günstige Preise für den Transport großer Mengen über Wasser.
Fast Fashion sei erst durch bestimmte Schnittkonstruktionen möglich geworden, betonte Prof. Martina Glomb vom use-less Zentrum für nachhaltige Designstrategien an der Hochschule Hannover. Es ginge nicht mehr darum, Kleidung passend zu machen, sondern möglichst viel davon zu produzieren.
Die Textilindustrie nachhaltiger gestalten
Erst die Rana-Plaza-Tragödie – der Einsturz einer fünfstöckigen Fabrik 2013 in Bangladesch, bei dem mehr als 1.000 Menschen starben – habe laut Burcu Gözet zu einem Umdenken in der breiten Masse geführt. Der Begriff der Slow Fashion gewann an Bekanntheit. Slow Fashion zielt auf das Gegenteil von Fast Fashion: Langlebigkeit durch Qualität, natürliche oder recycelte Materialien, zero-Waste bei der Produktion, zeitlose Designs, gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne.
Für Philipp Bree, Gründer eines Modelabels, sind für die Herstellung nachhaltigerer Kleidung vor allem vier Punkte relevant: zertifizierte Materialien, Produktion in handwerklich ausgezeichneten Familienbetrieben, lokale Nähe und ordentliche Produktionsabläufe. Für das Publikum und die Expert:innen war außerdem der emotionale Bezug zu Textilien wichtig. Martina Glomb fasste es so zusammen: "Wenn man Dinge liebt, dann wertschätzt man sie."
Burcu Gözet und einige der Besucher:innen nahmen die Politik in die Verantwortung. Siegel seien nur ein kleiner Baustein für mehr Nachhaltigkeit, denn sie seien oft undurchsichtig, unzuverlässig und käuflich. Auf EU-Ebene werde daher über neue und verbindliche Zertifizierungen diskutiert. Laut Gözet könne die Politik noch weitere Maßnahmen treffen. Es sei möglich, den Beruf der Näherin/des Nähers attraktiver zu machen oder die Mehrwertsteuer für Reparaturen zu senken. Das erhöhe zum einen den Anreiz, Kleidung nicht wegzuwerfen und steigere zum anderen den emotionalen Bezug zum Produkt.
Besonders wichtig für alle Anwesende waren Bildung und Aufklärung rund um das Thema Textilindustrie. Vor allem Kinder und Jugendliche müssten früh lernen, ihre Kleidung wertzuschätzen, indem sie mehr über sie erfahren: Wie wird Kleidung hergestellt? Wie sollte man mit Kleidung umgehen? Wie kann Kleidung repariert werden? Auf diesen Aspekt ging Burcu Gözet noch einmal ein: Es ginge darum, nicht nur den Neuerwerb von Textilien zu betrachten, sondern sich auch damit zu beschäftigen, was man mit beschädigten Kleidungsstücken machen kann und wie man diese richtig entsorgt.
Das eine sagen, das andere machen
Martina Glomb wies auf die Ergebnisse einer Studie hin, die in der erwachsenen Bevölkerung eine große Verhaltens-Einstellungs-Schere feststellte: Während ein Großteil der Befragten über die Probleme der Textilproduktion Bescheid wusste, richtet sich nur ein Bruchteil von ihnen bei der Kaufentscheidung nach nachhaltigen Kriterien. Glomb betonte, dass beispielsweise durch Bildung an Schulen verhindert werden solle, dass diese Schere auch bei den nachfolgenden Generationen aufkommt. Wichtig sei außerdem, positive Beispiele zu nennen, anstatt mit dem Finger auf kritisches Konsumverhalten zu zeigen. Philipp Bree fügte hinzu, dass es wichtig sei, bei sich selbst anzufangen und regelmäßig zu hinterfragen, was man tatsächlich brauche. Wenn sich alle etwas zurücknähmen, würde das nicht nur im Textilbereich schon vieles verbessern.
Tipps aus der Community und Anknüpfungspunkte in Hannover
In sogenannten Elevator-Pitches gab es für das Publikum die Möglichkeit, Tipps zu geben oder eigene Initiativen aus der Region vorzustellen. Ein Beispiel: die Initiative "Tragbarer Lebensstil". Sie setzt sich zum einen für das Gesetz zu Lieferkettensorgfaltspflichten auf EU-Ebene ein, zum anderen will sie mit Aufklärung dafür sorgen, dass sich das Bewusstsein für problematischen Textilkonsum weiter vergrößert.
Außerdem wurde auf die Veranstaltungsreihe "use-less TALK"s der Hochschule Hannover hingewiesen, bei der verschiedene Aspekte von Nachhaltigkeit beleuchtet werden. Nicht nur ökologisch nachhaltig, sondern auch sozial arbeitet die Nähwerkstatt "Unter einem Dach". Hier nehmen nach Hannover geflüchtete Frauen Aufträge entgegen.
Das Publikum und die Expert:innen waren sich einig, dass neben benötigter Maßnahmen auf politischer Ebene auch die Konsument:innen einen erheblichen Einfluss darauf haben, den Textilbereich nachhaltiger zu gestalten. Gehen Sie also gerne mit uns "auf den Weg zur Slow Fashion".
Podium bei Herrenhausen Xchange am 6. Juni 2023:
- Philipp Bree, Gründer eines Modelabels, Hannover
- Prof. Martina Glomb, USE-LESS Zentrum für nachhaltige Designstrategien, Modedesign, Hochschule Hannover
- Burcu Gözet, Abteilungsbereich Stoffkreisläufe, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie
- Moderation: Jan Sedelies, Journalist