Im Munich Science Communication Lab (MSCL) untersuchen Kommunikationswissenschaftler:innen den gesellschaftlichen Diskurs zum Forschungsfeld 'Planetary Health'. Konsequent im Blick haben sie bei ihren Experimenten die Evaluation, die in Forschung und Praxis häufig zu kurz kommt.
Das Forschungsgebiet Planetary Health ist ein noch junges inter- und transdisziplinäres Feld. Wissenschaftler:innen aus den Geo- und Umweltwissenschaften, der Medizin, der Public-Health-Forschung und den Sozialwissenschaften untersuchen im Austausch mit Fachleuten aus Gesundheitspraxis und Politik, wie die Funktion von Ökosystemen mit der Gesundheit des Menschen zusammenhängt. "Planetary Health ist ein holistisches Konzept mit sehr vielen Aspekten", erklärt Kommunikationswissenschaftlerin Julia Serong, Co-Sprecherin des Munich Science Communication Lab, kurz MSCL. "Die Herausforderung, aus einem so komplexen und multiperspektivischen Themenfeld zu kommunizieren, begleitet auch unsere Forschung." Gefördert wird das MSCL seit 2021 von der VolkswagenStiftung, zusammen mit drei weiteren Zentren für Wissenschaftskommunikationsforschung.
Komplexe Probleme…
Das Themenfeld Planetary Health konfrontiert nicht nur Forschende, sondern auch Politik und Bürger:innen immer wieder mit so genannten Wicked Problems: komplexen und gesellschaftlich wichtigen Herausforderungen, die auf widersprüchlichen Interessenlagen beruhen. Diese Probleme lassen sich nicht auf schnelle oder einfache Art lösen. Die Kommunikationswissenschaftler:innen im MSCL haben einen besonderen Fokus auf die Kommunikation über solche Probleme gelegt. Eine ihrer zentralen Fragen lautet: Wie vermittelt man ein Wicked Problem, ohne einerseits Zusammenhänge übermäßig zu vereinfachen und ohne andererseits Unsicherheit und Panik zu schüren? Die Frage ist aktueller denn je in einer Zeit, in der multiple Krisen ineinandergreifen und schlechte Nachrichten Menschen schnell überfordern.
… und konstruktive Kommunikation
"Wir haben deshalb als weitere Säule die Erforschung konstruktiver Kommunikation dazu genommen", sagt Bernhard Goodwin, Co-Sprecher des MSCL. "Sie betont lösungsorientierte Ansätze bei der Problemvermittlung und wird im Journalismus und bei der strategischen Kommunikation angewendet." Konstruktive Kommunikation liefert also zu einer Problembeschreibung auch Lösungsansätze oder Zielbilder und wirkt deshalb im besten Fall positiv handlungsorientierend. Inwiefern das Konzept in der Praxis funktioniert, untersucht gegenwärtig die Doktorandin Anna Gaul im MSCL. "Zur Erforschung gehört allerdings auch, die Kehrseite bei der Kommunikation von Wicked Problems zu betrachten", sagt Julia Serong. Gemeint sind damit Phänomene wie Hasskommunikation, Wissenschaftsfeindlichkeit, Misstrauen – denen sich die Forschungsarbeit der Postdoktorandin Jana Egelhofer widmet.
Aktuelle Themen erschließen neue Zielgruppen
Referenzbeispiele für Wicked Problems, mit denen sich die Forschendengruppe befasst, liefert die Realität zuhauf. Dazu gehören Hitze in urbanen Räumen oder landwirtschaftliche Nahrungsmittelproduktion im Verhältnis zum Artenschutz. Mit dem Krieg in der Ukraine kam die Energiekrise hinzu und rückte den notwendigen Wandel in der Strom- und Wärmeversorgung stark in die öffentliche Wahrnehmung. Das MSCL ist offen dafür, solche aufkommenden Themen mit Alltagsbezug flexibel in seine Forschungsagenda aufzunehmen. "Sie bieten die spannende Perspektive, Zielgruppen zu erreichen, die sich von den bisherigen Themen weniger angesprochen fühlen", sagt Goodwin.
Teil der Community im politischen Diskurs
Zielgruppen auch außerhalb der akademischen Blase zu erreichen, ist konstitutiv für die Arbeit des MSCL. "Wir versuchen, Teil der Community zu sein, die das Umfeld für Planetary Health gestaltet." Im Dezember 2023 tauschten sich beispielsweise Beteiligte aus dem Münchener Projekt auf dem Planetary Health Forum in Berlin mit Fachleuten aus dem Umwelt- und Gesundheitsbereich sowie Entscheider:innen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft aus. "Das Thema Planetary Health ist im politisch-gesellschaftlichen Raum angekommen", sagt Goodwin. "Damit wird die faktenbasierte Wissenschaftskommunikation jetzt umso wichtiger. Die wollen wir mit unserer Arbeit stärken: methodisch, konzeptionell und inhaltlich."
Stadtrundgang und Fermentation
Mit einer offenen Ausschreibung rief das MSCL schon zu Beginn seiner ersten Förderphase Interessierte auf, sich selbst in die Wissenschaftskommunikationsforschung einzubringen. Unter dem übergreifenden Thema "Ernährung und Ernährungssysteme" starteten sieben Projekte: von einem Nachhaltigkeit-Podcast aus Portugal über Instagram-Posts bis zur pflanzenbasierten Ernährung und einem App-basierten Einkaufs-Stadtrundgang für Grundschüler:innen. Das MSCL fördert und unterstützt die Umsetzung dieser Projekte und wertet ihre Wirkung systematisch aus.
Weitere Experimente wurden mit den Praxispartnern Deutsches Museum München und BIOTOPIA - Naturkundemuseum Bayern durchgeführt. Das MSCL nutzt intensiv das BIOTOPIA-Lab, eine Interims-Plattform des geplanten Naturkundemuseums Bayern. Dort fanden zum Beispiel Workshops zum Thema städtische Streuobstwiesen statt. Eine Ausstellung über Fermentation, basierend unter anderem auf einer Kooperation mit Frauen aus der türkischen Community in München, wurde im Deutschen Museum gezeigt. "Da ging es neben biologischen auch viel um kulturelle Aspekte dieser Technik", schildert Goodwin. Aufbauend auf den Erfahrungen der ersten Jahre plant das MSCL eine Ausstellung mit dem Titel 'Planetary Health Experience'. Hier sollen Menschen erleben, ja spüren, was die eigene Gesundheit mit den planetaren Grenzen zu tun hat.
Immer mitgedacht: die Evaluation
Den Gestaltungsprozess speisen Erfahrungen und Erkenntnisse aus der bisherigen Forschung des MSCL - und zwar "iterativ und basierend auf der Empirie, die die Evaluation der Projekte liefert", wie Goodwin betont. Denn die ist im MSCL fester Bestandteil eines jeden Experiments; Überlegungen zur Evaluation schwingen stets von Beginn an mit. "Wir denken schon während der Konzeption darüber nach, was eine Maßnahme auslöst und welche Ziele auf welchem Weg erreicht werden können", beschreibt Goodwin seine Perspektive auf die Evaluation - eine in der Praxis der Wissenschaftskommunikation oft noch wenig beachtete Aufgabe.
Evaluation bringt Wissenstransfer
Auch die 'Planetary Health Experience' - Ausstellung soll von einer breit angelegten Evaluation begleitet werden. "Von kommunikationswissenschaftlicher Seite findet dabei ein Wissenstransfer in die Praxis statt", sagt Julia Serong. Denn die Evaluation des großen Kommunikationsexperiments wird dazu beitragen zu verstehen: Welche sozialwissenschaftlichen Methoden sind angemessen, um welche Ziele zu analysieren? Welche Erhebungsmethoden und Designs eignen sich, um auf verschiedenartige Formate angewandt zu werden? Gleichzeitig gehe, so Serong, umgekehrt auch ein Impuls von der Praxis in die Forschung, etwa bestimmte Präsenzformate wieder stärker in den Fokus zu nehmen.
"Die deutschsprachige Publizistik- und Kommunikationswissenschaft hat sich jahrzehntelang auf Massenmedien konzentriert - Rundfunk und Presse, zuletzt vor allem digitale und soziale Medien", sagt Serong. Im Bereich der Wissenschaftskommunikation sei es jedoch besonders spannend zu sehen, welche Bedeutung solche Formate haben, bei denen sich Menschen persönlich begegnen und miteinander agieren. "Für uns birgt Evaluation auch die Hoffnung, dass sie die Wissenschaftskommunikationsforschung voranbringt, indem sie erste Erkenntnisse generiert", sagt Goodwin. "Wir glauben fest daran, dass wir weitere Evidenz kreieren müssen, um evidenzbasiert Wissenschaftskommunikation gestalten zu können." Anders gesagt: Das MSCL bringt die Evaluation der Praxis mit der Grundlagenforschung zusammen, mit dem Ziel, "unsere gesellschaftliche Realität und die Natur des Menschen im Kontext der Wissenschaftskommunikation besser zu verstehen."